4. Oktober 2022

Wahlprüfstein 10: Niedersächsische Bauordnung

In der derzeit gültigen Niedersächsischen Bauordnung (kurz: NBauO) herrscht noch immer das falsche Verständnis vor, dass unter Menschen mit Behinderungen ausschließlich Rollstuhlfahrer verstanden werden, kritisiert der DSB Nds. Bedürfnisse und Wege zur Problemlösung für Menschen mit anderen Behinderungen, wie z.B. Seh- oder Hörbehinderung, Kleinwüchsigkeit usw., werden nicht behandelt, so der DSB.

Es werden in der NBauO die DIN-Vorschriften für Barrierefreiheit weder aufgeführt noch deren Einhaltung durch Sanktionen gegenüber Bauherrn und Planer erzwungen.

Ebenso wenig wird bei größeren Bauvorhaben die Bildung einer Arbeitsgruppe „Barrierefreiheit“ empfohlen, die aus Vertretern des Bauherrn, der Architekten, der Fachplaner und der fachlich zuständigen Selbsthilfeverbände besteht und Vorgaben zur Barrierefreiheit festlegt.

Noch immer gibt es keine Pflicht bei der Architekten-Ausbildung zur Teilnahme am Fach „barrierefreies Planen und Bauen“.Es sollten entsprechende gesetzliche Festlegungen erlassen werden. Nachschulungen zu diesem Thema müssten verpflichtend nachgewiesen werden.

Wird Ihre Partei sich für eine Novellierung der erst vor wenigen Jahren überarbeiteten NbauO einsetzen? Falls nein, würden wir eine Begründung sehr begrüßen.

Antwort der SPD: Die Anpassung der Niedersächsischen Bauordnung an die jeweiligen Gegebenheiten ist eine dauerhafte Aufgabe, die bisher in nahezu jeder Legislaturperiode erfolgt ist. Für uns spielt Barrierefreiheit dabei eine zentrale Rolle, was auch an der letzten Novelle gut zu erkennen ist. Die Hinweise und Anregungen des Deutschen Schwerhörigenverbandes werden wir vor diesem Hintergrund in den zukünftigen Beratungen berücksichtigen.

Antwort der CDU: Die NBauO wurde erst am 28.06.2022 novelliert. Dabei wurden auch die Regelungen zur barrierefreien Zugänglichkeit und Benutzbarkeit baulicher Anlagen in § 49 überarbeitet und beziehen sich nicht nur auf Rollstuhlfahrer. Gemeinsam mit den Menschen in Niedersachsen wollen wir unser Land nach vorne bringen. Deshalb haben wir zunächst in einem ebenso intensiven wie interaktiven Prozess Ideen mit unseren Mitgliedern, mit Verbänden und den Bürgerinnen und Bürgern in Niedersachsen ausgetauscht. Dafür sind wir sehr dankbar. Am 9. Juli 2022 auf dem Landesparteitag in Lingen haben wir
unser Regierungsprogramm abschließend beraten und beschlossen. Nun freuen wir uns, dass wir allen Niedersächsinnen und Niedersachsen mit unserem Programm ein zukunftsgewandtes und innovatives Angebot für die kommenden fünf Jahre machen können.

Antwort BÜNDNIS 90/ GRÜNE: Eine Evaluation des neuen Paragrafen 49 in der Niedersächsischen Bauordnung sollte aus unserer Sicht unbedingt erfolgen, denn er hat aus unserer Sicht nicht in dem beabsichtigten Umfang dazu beigetragen, dass barrierefreier Wohnraum entsteht. § 49 ist in enger Abstimmung mit Behindertenverbänden und Wohnungswirtschaft erarbeitet worden und sollte nun auch von den gleichen Akteuren auf seine Wirksamkeit hin bewertet werden. In der Musterbauordnung, die für die Bauordnungen der Bundesländer einen Mindeststandards vorgibt, findet sich in § 2, Absatz 9 folgende Definition von Barrierefreiheit: „Barrierefrei sind bauliche Anlagen, soweit sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ Diese Definition bezieht sich nach unserem Dafürhalten auf alle Menschen mit Behinderungen und nicht nur auf Rollstuhlfahrende. Sie ist auch für Niedersachsen maßgeblich. Eine regelhafte Anwendung der DIN-Vorschriften zum Barrierefreien Bauen wäre gleichwohl auch aus unserer Sicht wünschenswert. Wir stimmen außerdem zu, dass barrierefreies Bauen stärker in der Ausbildung von Architekt*innen verankert werden sollte. Zukünftig wird zudem auch das Landeskompetenzzentrum Barrierefreiheit hier mit gezielter Beratung unterstützen können.

Antwort Die Linke: Wie Sie definiert DIE LINKE Barrieren nicht nur als fehlende Rampen. Barrierefreies Bauen und Planen muss zwingend alle Arten von Hürden einbeziehen, berücksichtigen und aus dem Weg räumen bzw. einen Lösung für den Umgang anbieten. Dabei kann sich ein Land nicht auf den guten Willen von Bauherren und Planern verlassen, sondern muss dieses Recht auf Barrierefreiheit für alle rechtlich verankern. Nur so kann gewährleistet werden, dass umfassende Barrierefreiheit nicht wegen höherer Kosten vernachlässigt wird.


Hintergrund und Position des DSB

In der derzeit gültigen Niedersächsischen Bauordnung (kurz: NBauO) ist der Begriff „Barrierefreiheit“ nicht definiert. Dies sollte aus Sicht des DSB Nds. nachträglich in der gebotenen Ausführlichkeit erfolgen. 

Nach wie vor herrscht in der gültigen NBauO das falsche Verständnis vor, dass unter Menschen mit Behinderungen ausschließlich Rollstuhlfahrer verstanden werden, dies ist ersichtlich in der gültigenBauordnung § 49 Absatz 1, Sätze 2 und 3, wo Rollstuhlfahrer, deren Bedürfnisse und Wege zur Lösung von Problemstellungen aufgeführt sind, nicht aber von Menschen mit anderen Behinderungen, wie z.B. Seh- oder Hörbehinderung, Kleinwüchsigkeit usw., die zumindest beispielhaft und gleichwertig zu behandeln sind. 

Nach dem Inkrafttreten der UN-BRK im Jahre 2009 müsste die „Tradition“, in der Bauordnung lediglich Maßnahmen für Rollstuhlfahrer vorzusehen und die Bedürfnisse anderer Behinderungsformen unberücksichtigt zu lassen, längst überwunden sein. 

Daher sollten aus Sicht des DSB etliche DIN-Vorschriften für Barrierefreiheit in der NBauO vorgeschrieben und deren Einhaltung durch Sanktionen gegenüber Bauherrn und Planer erzwungen werden. Die Nichtbeachtung dieser Vorschriften durch den Planer muss als wesentlicher Planungsfehler festgelegt werden und einklagbar sein. 

Bei größeren Bauvorhaben wie dem geplanten Neubau der MHH sollte eine Arbeitsgruppe „Barrierefreiheit“ gebildet werden, bestehend aus Vertretern des Bauherrn, der Architekten, der Fachplaner und der fachlich zuständigen Selbsthilfeverbände, die Vorgaben zur Barrierefreiheit festlegt. Solche Arbeitsgruppen gab es beim Neubau des Justizzentrums Hannover und Sanierung des Landtages. 

Nach wie vor besteht kein Druck zur Erweiterung der Architekten-Ausbildung um das Fach „barriere- freies Planen und Bauen“. Zwar werden Nachschulungen zu diesem Thema angeboten, sie sollten je- doch durch zertifizierte Ausbilder erfolgen und verpflichtend nachgewiesen werden müssen. Es sollten daher entsprechende gesetzliche Festlegungen erlassen werden. 

Weitere Wahlprüfsteine

Neben Antworten der Parteien, sind dort Hinergründe und die Position des DSB Nds. aufgeführt.

 Autor der Prüfsteine ist der 1. Vorsitzende des DSB Nds., Rolf Erdmann. 


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