19. April 2022

Evakuierungen aus der Ukraine:
CI-Träger engagiert sich ehrenamtlich

Richard Pal ist seit seiner Geburt stark hörgeschädigt. Mit fünf Jahren zog er mit seinen Eltern aus Rumänien nach Hannover, wo er erstmals beidseitig mit Hörgeräten versorgt wurde. Seit 14 Jahren trägt der heute 35jährige ein Cochlea-Implantat. Er engagiert sich in der Berliner Initiative „Taxiservice for Peace". Die freiwilligen Helfer transportieren in ihren Privatautos Hilfsgüter in die Ukraine und bringen auf dem Rückweg Geflüchtete nach Deutschland. Während des acht und mehr Stunden dauernden Rückweges organisieren die Helfer über Soziale Medien erste Unterkunftsmöglichkeiten für die Geflüchteten.

 

Richard, wie bist du auf die Idee gekommen, mit deinem Privat-PKW in die Ukraine zu fahren und von dort Geflüchtete nach Deutschland zu bringen?

Ein paar Tage nach der russischen Invasion  habe ich bei Facebook eine neu gegründete Gruppe mit dem Namen „Taxiservice for Peace" aus Berlin entdeckt. Da ich sehr gerne Menschen helfe, unter anderem als Taubblindenassistent, habe ich beschlossen, dort mitzumachen. Ich musste es einfach tun. Ich stamme aus Rumänien, die Ukraine ist mein Nachbarland. Ich habe vielleicht so eine Art „Helfersyndrom".

Seit wann machst du das?

Seit dem 2. März. Ich bin von Hamburg noch in der Nacht ganz spontan nach Berlin gefahren. Es gab schon viele Hilfsgüter für die Ukraine. Wir haben unsere Fahrzeuge beladen und sind dann im Konvoi Richtung Warschau gestartet.

Wie oft bist du seitdem unterwegs gewesen? Und welche Strecken fährst du dabei?

Die erste Stadt, in die ich gefahren bin, war Przemyśl an der polnischen Grenze zur Ukraine. Die ersten Tage bin ich innerhalb Polens mit einigen Flüchtlingen von der Grenze ins Landesinnere gefahren, nach Lublin und Warschau, und dann wieder zurück nach Przemyśl. Und dann von Przemyśl direkt nach Berlin. Die erste Woche bin ich quasi in ganz Polen unterwegs gewesen. Die zweite Woche bekam ich von einem Helfer aus Hamburg einen Neun-Sitzer-Van  für eine Woche ausgeliehen. Damit konnte ich effizienter unterwegs sein und habe mehr Menschen transportieren können, auch Haustiere. Und nach zwei Wochen Pause bin ich mehrfach mit meinem PKW die Strecke Krakau - Lviv gependelt,  um medizinische Hilfsgüter in die Ukraine zu bringen. Einmal die Woche bin ich nach Berlin zurückgefahren und habe dabei dann Geflüchtete mitgenommen. Ich habe mittlerweile über 30 Menschen und acht Tiere transportiert und bin etwa 25.000 Kilometer gefahren.

Du trägst ein CI und ein Hörgerät, bist seit deiner Geburt hörgeschädigt. Belastet dich das bei deinem Engagement für die geflüchteten Menschen? Musst du dich speziell vorbereiten?

Ja, es gibt sehr viele Sprachbarrieren. Ich kann mich eigentlich sehr gut auf Deutsch verständigen, auch mit den Kollegen. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann bitte ich darum, langsam und deutlich zu sprechen. Mit Englisch ist es allerdings nicht so einfach, weil ich darauf nicht so gut trainiert bin. Ich habe mich auch nicht speziell für Flüchtlinge vorbereitet. Viele der Geflüchteten können kein Englisch. Deswegen benutze ich die App DeepL für russischsprachige Menschen und Google Translate für Ukrainisch. Bei Google Translate kann ich in das Handy sprechen und so die Unterhaltung  fortführen. Mit DeepL habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht, da diese App sogar Kauderwelsch verstehen kann und sie viel genauer übersetzt als Google Translate.

Ich muss ansonsten sehr oft den Menschen erklären, dass ich schwerhörig bin, auch den vielen neuen Kontakte, die ich über Facebook und Co. bekommen habe. Viele haben mich angerufen. Doch wenn sie Englisch sprechen, kann ich nur wenig am Telefon verstehen.   Immer wieder muß ich erwähnen,  bitte lass uns schreiben.  Es ist schon belastend. Und jeder spricht mit Akzent. Das ist ebenfalls nicht einfach für mich.

Welche Erfahrungen hast du mit Geflüchteten gemacht?

Ich habe sehr schöne Erfahrungen gemacht. Sie sind überwiegend sehr freundlich und auch sehr aufmerksam. Sie wissen sehr zu schätzen, dass Fahrer wie ich oft fahren. Als Fahrer versuche ich den Flüchtenden ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln, registriere mich bei der polnischen Polizei oder lasse die Geflüchteten meinen Reisepass fotografieren. Ich habe auch einen Hotspot mit meinem Smartphone errichtet, damit sie während der Fahrt Kontakt zu ihren Liebsten oder ihren Gastfamilien aufnehmen können.

Was haben die Geflüchteten erlebt? Kannst du einige Beispiele beschreiben?

Es ist schwer zu beschreiben. Es sind gemischte Gefühle. Die meisten waren fix und fertig von der Flucht aus der Ostukraine bis zur polnischen Grenze. Viele sind traumatisiert. Viele berichten auch, dass sie ihre Häuser und ihre Sachen zurücklassen mussten oder sie zerstört wurden. Und sie machen sich Sorgen um ihre Männer, die die Ukraine nicht verlassen dürfen.

Wenn ich die Flüchtenden in Sicherheit gebracht habe, ist es oft, dass sie anfangen zu weinen
und sich auf Ukrainisch oder Russisch bedanken. Ich  muss dann oft ebenfalls weinen. Es tut mir so gut, ihnen geholfen zu haben. Was wäre denn passiert ohne uns Helfer? Nur Leid ohne Ende. Am Ende der Fahrt drücken sehr viel ihre Freude aus. Es sind wirklich gemischte Gefühle.

Hast du auch schon andere Hörgeschädigte getroffen?

Nein, ich habe bisher keine Hörgeschädigten getroffen, bis auf eine Mutter, die schon in Hamburg angekommen war. Sie wollte nach Zaporizhzhia zurück, um ihre Kinder abzuholen. Die Kommunikation war nicht leicht. Ich habe es mit Gestikulieren versucht und mit dem Google Übersetzer. Ich habe dann ein paar Gebärden gelernt. Man braucht einen Dolmetscher,  der russische oder ukrainische Gebärden beherrscht.

Wo liegen die besonderen Herausforderungen bei deinem Engagement?

Am Herausfordensten ist es, alleine zu fahren, ohne zweiten Fahrer. Es ist sehr anstrengend und man braucht häufiger Pausen. Manchmal habe ich es auch geschafft, die Nacht durchzufahren. Anstrengend sind auch die Telefonate mit polnischen und ukrainischen Freiwlligen. Ich muss oft erklären, dass ich schwerhörig bin, und sie vergessen das oft. Aber es klappt irgendwie immer. Der Willen zählt, und sie sind sehr begeistert von meinem Engagement trotz meiner Schwerhörigkeit.

Was denkst du, wie lange wirst du das noch machen?

Ich werde solange machen wie möglich, bis das alles vorbei ist.  Und wenn der Krieg vorbei ist, werde ich vielleicht beim Wiederaufbau mithelfen, sofern es möglich ist. Viele Ukrainer werden zurück in ihre Heimat wollen.

Gibt es noch etwas Wichtiges, das du mitteilen möchtest?

Wir unterstützen nicht nur ukrainische Staatsbürger, sondern auch andere Menschen aus Afrika, Uzbekistan und viele andere, die in der Ukraine leben, als Studenten oder Menschen, die dort Arbeit und ein neues Leben gesucht haben. Egal, welche Religion sie haben, egal, welche Hautfarbe – wir helfen jedem. Wir lassen niemanden zurück. Und wir sind immer noch auf Spenden angewiesen, da wir viel aus eigener Tasche zahlen.

Es kommt nicht genug Hilfe an. Es wird einfach für Flüchtlinge zu wenig getan. Ohne uns und die vielen anderen kleinen privaten Organisationen hätten vermutlich viele Flüchtlinge in der Ukraine nicht überlebt. Langsam wird unsere Arbeit schwerer, weil Fahrer und Helfer dies bald nicht mehr leisten können. Zudem wird auch in Deutschland weiterhin Hilfe benötigt.


Die Fragen stellte Schnecke-Redakteur Klaus Martin Höfer.


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