21. Dezember 2023

Erfolgreich Altern mit Schwerhörigkeit

Erfolgreich Altern heißt nicht nur, möglichst gesund zu bleiben, sondern auch der Umgang mit Verlust und Veränderung. Wissenschaftler führen dazu eine Studie durch.

Altersschwerhörigkeit gehört zu den häufigsten chronischen Erkrankungen im Alter. Die WHO (2013) definiert Hörverlust über Hörschwellen von mindestens 25 dB in den Hauptsprachfrequenzen (0.5, 1, 2 und 4 kHZ) auf beiden Ohren. Nach dem Global Burden of Disease Report 2019 sind weltweit 65 Prozent der Menschen über 65 Jahre von einem milden Hörverlust und 25 Prozent von einem moderaten bis schweren Hörverlust betroffen. Die Wahrscheinlichkeit und Schwere des Hörverlusts steigen mit zunehmendem Alter: So haben in Europa 11 Prozent der 60- bis 69-Jährigen, 23 Prozent der 70- bis 79-Jährigen, 42 Prozent der 80 bis 89-Jährigen und 56 Prozent der über 90-Jährigen einen moderaten bis schweren Hörverlust (WHO, 2021). Für Deutschland gibt es keine spezifischen Daten zur Prävalenz von Altersschwerhörigkeit. Nach aktuellen Hochrechnungen waren 2015 15 Prozent bzw. 10.4 Millionen Erwachsene im Alter von 20 bis 80 Jahren schwerhörig (von Gablenz et al., 2017).

Altersschwerhörigkeit und Lebensqualität

Da Altersschwerhörigkeit auch die Hauptsprachfrequenzen betrifft, sind die Kommunikation mit anderen und das Sprachverstehen sowie die Orientierung in der Umwelt eingeschränkt. Der Hörverlust hat damit unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen. Lebensqualität bezeichnet ein komplexes Zusammenspiel aus physischer Verfassung, psychischem Wohlbefinden, sozialen Beziehungen und der Funktionsfähigkeit einer Person (WHO, 1997), wobei ein moderater bis schwerer Hörverlust alle vier Dimensionen von Lebensqualität negativ beeinflussen kann. So steht Altersschwerhörigkeit in Zusammenhang mit einem erhöhten Sturz- (Campos et al., 2018), Demenz- (Livingston et al., 2020) und Depressionsrisiko (Lawrence et al., 2020). Daneben kann Altersschwerhörigkeit negative Auswirkungen auf die soziale Teilhabe und die Kommunikationsfähigkeit (Strawbridge et al., 2000) sowie auf die Alltagskompetenz und Freizeitgestaltung der Betroffenen haben (Crews & Campell, 2004).

Erfolgreiches Altern als Ergebnis von Anpassungsstrategien

Der Umgang mit solchen kritischen Lebensereignissen, wie die Diagnose einer chronischen Erkrankung oder auch die Versorgung mit Hörgeräten, ist in der psychologischen Alternsforschung gut untersucht. Erfolgreiches Altern zeigt sich danach nicht allein im Erreichen positiver Zielzustände, wie z. B. Gesundheit oder Lebensqualität. Vielmehr sind Verluste und Veränderungen zunehmend Teil des Alterns, die sich nicht gänzlich vermeiden lassen – wie auch die hohe Verbreitung von Altersschwerhörigkeit zeigt – und der Umgang damit ist entscheidend (z. B. Baltes, 1987).

Eine zentrale Rolle kommt deshalb der Anpassungsleistung des Menschen zu. Schwerhörende können beginnende Hörschwierigkeiten zumeist ausgleichen oder weniger bemerkbar machen, indem sie eine breite Auswahl an Strategien entwickeln. Diese können sowohl bewusst als auch unbewusst auftreten. Sie wählen beispielsweise leisere Restaurants aus oder vermeiden große Veranstaltungen. Auch die Nutzung von Hörsystemen (Hörgeräte, Cochlea-Implantate) wird häufig von unterstützenden Anpassungsstrategien begleitet, zum Beispiel indem ein Platz mit weniger Hintergrundgeräuschen gewählt wird. Es ist empirisch erwiesen, dass die Anpassungsleistung in positivem Zusammenhang mit Indikatoren erfolgreichen Alterns steht, d. h. je mehr Anpassungsstrategien Menschen berichten, desto höher ist im Allgemeinen ihre Alltagskompetenz, Selbständigkeit oder Lebensqualität (z. B. Lang et al., 2002).

Wissenschaftliche Studie zum Umgang mit Hörschwierigkeiten im Alter

In einem aktuellen Forschungsprojekt untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS und WS Audiology, welche Anpassungsstrategien Schwerhörende mit und ohne Hörhilfen nutzen, um ihren Alltag mit Hörschwierigkeiten zu bewältigen.

Von besonderem Interesse ist dabei, wann welche Strategien den besten Vorteil bringen, um ein gutes Hörerlebnis zu erzielen und die eigene Selbständigkeit und Lebensqualität aufrechtzuerhalten. Die Ergebnisse sollen Betroffenen, Angehörigen, Hörakustikern und HNO-Ärzten ein besseres Verständnis von Anpassungsstrategien in Bezug auf Hörschwierigkeiten und ihrer Bedeutung für erfolgreiches Altern vermitteln. Das Wissen über die Anpassungsstrategien soll beispielsweise genutzt werden, um konkrete Trainingsprogramme und Beratungsangebote für Betroffene zu entwickeln.

Haben Sie Interesse an der Studie teilzunehmen?

An wen richtet sich die Studie?

  • Menschen ab 40 Jahren (m/w/d)
  • Beginnende oder fortgeschrittene Hörschwierigkeiten
  • Mit oder ohne Hörhilfe

Wie wird die Studie durchgeführt?

  • Registrierung und weitere Informationen zur Studie unter: www.scs.fraunhofer.de/hoererleben 
  • Regelmäßige Beantwortung von Fragebögen in einer Befragungs-App auf dem eigenen Smartphone (1 bis 10 Minuten) über maximal 6 Monate
  • Themen, z. B. subjektives Hörvermögen, Strategien im Umgang mit Hörschwierigkeiten, Gesundheit und Lebensqualität
 Professor Beate Willinger

Vita: 

Prof. Dr. Bettina Williger ist Leitende Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS und Professorin für Psychologie mit Schwerpunkt Mensch-Technik-Interaktion an der Hochschule Landshut. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung seit zwölf Jahren aus einer psychologischen und gerontologischen Perspektive mit Altersschwerhörigkeit und Hörgerätenutzung im Alter.

 

REFERENZEN

Baltes, P. B. (1987). Theoretical propositions of life-span developmental psychology: On the dynamics between growth and decline. Developmental Psychology, 23(5), 611–626.

Campos, J., Ramkhalawansingh, R., & Pichora-Fuller, M. K. (2018). Hearing, self-motion perception, mobility, and aging. Hearing Research, 369, 42–55.

Crews, J. E., & Campbell, V. A. (2004). Vision impairment and hearing loss among community dwelling older Americans: Implications for health and functioning. American Journal of Public Health, 94, 823-829.

Lang, F. R., Rieckmann, N., & Baltes, M. M. (2002). Adapting to aging losses: Do resources facilitate strategies of selection, compensation, and optimization in everyday functioning? Journal of Gerontology, Series B, Psychological Sciences, 57, 501-509.

Lawrence, B. J., Jayakody, D. M. P., Bennett, R. J., Eikelboom, R. H., Gasson, N., & Friedland, P. L. (2020). Hearing loss and depression in older adults: a systematic review and meta-analysis. Gerontologist, 60(3), 137-154.

Livingston, G., Huntley, J., Sommerlad, A., Ames, D., et al. (2020). Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the “Lancet” Commission. The Lancet, 396(10248), 413-446.

Strawbridge, W. J., Wallhagen, M. I., Shema, S. J., & Kaplan, G.A. (2000). Negative consequences of hearing impairment in old age: A longitudinal analysis. Gerontologist, 40, 320-326.

von Gablenz, P., Hoffmann, E., & Holube, I. (2017). Prävalenz von Schwerhörigkeit in Nord- und Süddeutschland. HNO, 65, 663–670.

WHO (1997). WHOQOL. Measuring quality of life: Programm on Mental Health. Geneva: World Health Organization.

WHO (2013). Prevention of blindness and deafness. Geneva: World Health Organization.

WHO (2021). World report on hearing. Geneva: World Health Organization.

 


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