Zahnmedizinische Fachgebärden für mehr Teilhabe

Ein neues Online-Lexikon hilft tauben Studierenden beim Erlernen von Fachgebärden. Insbesondere bei Fachbegriffen aus der Zahnmedizin oder Zahntechnik ist das Sign4All.info-Lexikon (S4A) auch für Patienten eine große Hilfe.

Hörende Auszubildende oder Studierende der Zahnmedizin und Zahntechnik entnehmen Fachbegriffe direkt aus den Lehrbüchern oder Vorlesungen. Taube Lernende hingegen stoßen häufig auf Hürden, denn ohne passende Fachgebärden bleiben wichtige Inhalte schwer zugänglich. Das Online-Fachgebärden-Lexikon Sign4All.info bietet hier neue Chancen (s. Abb. 1).

Abbildung 1: Landingpage des Sign4All-Lexikons[S1] ; Screenshot: Britta Illmer, sign4all.info/sgo, Stand: 3.11.2025

Das S4A-Lexikon ist das Hauptprodukt des Projektes „Digitale Unterstützung der beruflichen Eingliederung gehörloser Menschen“, welches vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert und aus dem Ausgleichsfonds finanziert wurde. Das Ziel ist zum einen die Sammlung und Bereitstellung von Fachgebärden aus verschiedenen Berufsbereichen, zum anderen die Erschließung neuer Berufsfelder, die bisher für die gebärdensprachnutzende Community nicht oder schwer zugänglich sind.

Nicht nur für Fachleute

Speziell die Fachgebärden der Zahnmedizin sind auch wichtig für taube Menschen ohne einen medizinischen Hintergrund. Ein Zahnarztbesuch ist schon für viele hörende Patientinnen und Patienten mit Nervosität und Angst verbunden – trotz der Möglichkeit, Fragen zu stellen und Antworten sofort verstehen zu können. Gehörlose erleben diese Situation oft noch belastender. Wenn beispielsweise Fachbegriffe wie „Lokalanästhesie“ oder „Wurzelkanalbehandlung“ nicht klar kommuniziert werden können, entsteht zusätzlich zur Angst vor dem Zahnarzt auch die Sorge, nicht richtig zu verstehen, was passieren wird. Neben der Unterstützung der beruflichen Teilhabe leistet das Lexikon daher auch in anderen Lebenssituationen Hilfe für die Kommunikation. Durch die Fachgebärden unterstützt es nicht nur Beschäftigte in der Zahnmedizin und im Gesundheitsbereich, sondern auch Patientinnen und Patienten. Des Weiteren finden sich im Lexikon mehr als 800 sozialrechtliche Fachgebärden, die bei der Arbeitsvermittlung und bei Leistungen zur beruflichen Teilhabeförderung hilfreich sind.

Die Navigation

Auf der Landingpage des S4A-Lexikons gelangt man über den Button „Berufsbereiche“ zu den Berufsbereichen Zahnmedizin und Zahntechnik (s. Abb. 1). Sie sind Unterkategorien des Berufsfeldes Gesundheit. Auf den Detailseiten sind jedem Begriff ein oder mehrere Videos zugeordnet. Die Definition des Begriffs befindet sich unterhalb des Videos. Teilweise sind den Begriffen Abbildungen und/oder Erklärvideos in Deutscher Gebärdensprache (DGS) zugeordnet (s. Abb. 2). Jede der 15.298 Gebärden im Lexikon wurde mit den Symbolen des International Signwriting Alphabets (ISWA) verschriftlicht, damit eine Fachgebärde auch mithilfe der Gebärdensuche gefunden werden kann, wenn die Schreibweise des Wortes nicht bekannt ist (s. Abb. 3). Die Verschriftlichung der Gebärde befindet sich rechts neben dem Video.

Abbildung 1: Landingpage des Sign4All-Lexikons; Screenshot: Britta Illmer, sign4all.info/sgo, Stand: 3.11.2025

Abbildung 3: Suche nach der Fachgebärde „Anamnesebogen“ anhand der Parameter einer Gebärde; Screenshot: Britta Illmer/https://www.sign4all.info/sgo/search/gebaerdensuche, Stand: 3.11.2025 

Hohe Qualitätsstandards

Unsere Fachgebärden wurden unter hohen Qualitätsstandards erhoben. Sie wurden und werden immer unter der Einbeziehung von tauben Fachexperten der verschiedenen Kooperationspartner und Linguisten erstellt. Transparent macht das Kinga Ostrowski, zahnmedizinische Fachangestellte und Praxismanagerin in der Zahnarztpraxis von Schuler Alarcón, in einem Video, das unter der URL sign4all.info/sgo/page/about_alarcon abrufbar ist. Die Zahnarztpraxis von Schuler Alarcón ist einer der wichtigen Kooperationspartner des S4A-Projektes. Sieben von 13 Festangestellten sind selbst taub.

Eine Offline-Version des S4A-Lexikons stellt der Verlag Karin Kestner auf seiner Webseite kestner.de unter dem Reiter „Gebärdensprache“ zum Download zur Verfügung. Dieses Feature richtet sich an Praxen, Labore oder Firmen, in denen ein freier Internetzugang nicht möglich ist. Neben dem vollständigen Lexikon können auch einzelne Berufsbereiche runtergeladen werden. Zusätzlich werden alle Sign4All.Info-Gebärden in das DGS-Wörterbuch Der Kestner integriert – ein großer Vorteil für das Auffinden von synonymen Gebärden. Sowohl die On- als auch die Offline-Version sowie die integrierten Fachgebärden stehen hier nachhaltig kostenlos zur Verfügung.

Ein weiteres Produkt aus dem Projekt ist die Sign4All-App. Nutzende können Gruppen erstellen und ihre eigenen Fachgebärden sammeln und darüber abstimmen.

Die oben genannten Beispiele zeigen einerseits, wie wichtig die Verwendung von Gebärdensprache in der medizinischen Behandlung ist. Die Vorteile zahnmedizinischer Fachgebärden liegen für Patienten wie Beschäftigte in präziserer Kommunikation während der Behandlung – die Patienten gewinnen Vertrauen und Sicherheit, das Praxispersonal wird entlastet. Andererseits verdeutlichen sie, dass Fachgebärden Türen zu neuen Karrierechancen in der Zahnmedizin öffnen: Taube Menschen können mit klar definierten Fachgebärden Wissen barrierefrei erwerben und ihre beruflichen Perspektiven in diesen Berufsfeldern deutlich verbessern.

Britta Illmer

Zur Autorin:

Britta Illmer hat 2019 den Master-Studiengang Gebärdensprachen an der Universität Hamburg abgeschlossen. Im April 2020 begann sie ihre Tätigkeit als Linguistin im Projekt „Schriftspracherwerb gehörloser Menschen zur Förderung inklusiver Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Sie entwickelte unter anderem die Gebärdensuche auf der linguistischen Ebene für das Sign2MINT-Lexikon, das über 5.000 naturwissenschaftliche Fachgebärden umfasst. Derzeit arbeitet sie im Projekt „Digitale Unterstützung der beruflichen Eingliederung gehörloser Menschen“.


Zum Umgang mit dem Lexikon wird vom 1. November 2025 bis zum 1. März 2026 jeweils dienstags bis donnerstags von 10 bis 12 Uhr ein Webinar angeboten. Weitere Details und der Zoom-Link finden sich online unter digitale-unterstuetzung-gehoerloser-menschen.de.

Dieser Artikel erschien in der Schnecke 130/Winter 2025.


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