30 Jahre CIC Schleswig-Kiel: Die Arbeit eines interdisziplinären Netzwerks
Die circa 180 Besucherinnen und Besucher des 30-jährigen Jubiläums auf dem Kieler Campus des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) fanden bereits vor offiziellem Beginn der Veranstaltung am 15. November 2025 passende Worte, um die herrschende Atmosphäre zu beschreiben: Es sei ein Zusammenkommen „wie bei einem großen Klassentreffen“.
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Die Wegbereiter Dr. Joachim Müller-Deile und Dr. Goetz Brademann vom UKSH in Kiel und Arno Vogel vom Landesförderzentrum Hören und Kommunikation in Schleswig ahnten 1995 bei der Gründung des gemeinsamen Cochlea-Implant-Centrums (CIC) Schleswig-Kiel jedoch noch nicht, wie sich die Zusammenarbeit zwischen Audiologie, Medizin und therapeutischer Versorgung in drei Jahrzehnten weiterentwickeln würde. Das Team des CIC nahm das 30-jährige Bestehen des Centrums daher zum Anlass, in kurzen Vorträgen den Bogen von der Geschichte der Gehörlosigkeit und den Anfängen der „Taubstummenschule“ über den derzeitigen Stand in der Präzisionsmedizin und der lebenslangen audiologischen Betreuung hin zum Blick in die Zukunft zu spannen und sich zu fragen: Birgt (technischer) Fortschritt automatisch eine Verbesserung für den einzelnen Menschen?
Frau Prof. Susanne Wiegand begrüßte als Direktorin der Hals-, Nasen-, Ohrenklinik des UKSH zusammen mit der Leitung des Landesförderzentrums Hören und Kommunikation in Schleswig Andrea Kintrup und Lars Krackert das Publikum. Sie leitete über zum Festvortrag, der das Hören bei Meeressäugern in den Fokus nahm. Herr Prof. Boris Culik erläuterte sehr anschaulich, wie Wale die Hörwahrnehmung zur Kommunikation im Familienverbund nutzen und was für schwerwiegende Folgen eine Gehörlosigkeit für das gewohnte Leben in der Gemeinschaft, für die Orientierung im Wasser und das Wohlbefinden der Tiere haben kann. Dabei wurden erstaunliche Parallelen zu uns Menschen sichtbar.
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Ingo Degner konnte als ehemaliger Schulleiter des Landesförderzentrums Hören und Kommunikation herausstellen, dass die Zusammenarbeit der Universitätsmedizin in Kiel und Georg Wilhelm Pfingsten als Begründer der sogenannten „Taubstummenschule“ in Schleswig bereits 200 Jahre vor der Gründung des CICs begann. Damals standen das Erlernen der gesprochenen Sprache und die Kommunikation über die Gebärdensprache in Ansätzen bereits nebeneinander, um Kinder mit einer hochgradigen Hörbeeinträchtigung in ihrer Fähigkeit sich auszudrücken und verstanden zu werden, zu stärken. Dass heutzutage die gesprochene Sprache und die Gebärdensprache als zwei gleichwertige Sprachsysteme nebeneinander existieren können, durfte das Publikum in einem Interview mit einer Familie, die sowohl in Deutscher Gebärdensprache als auch in Lautsprache im Alltag kommuniziert, vor Ort erfahren. Beide Sprachen würden von den Kindern gleichermaßen eingesetzt, je nachdem, welche Sprache die Gesprächspartner:innen bevorzugten oder welche Sprache gerade Vorteile biete.
Dass Familien mit Kindern, bei denen in jungen Lebensjahren eine Hörschädigung diagnostiziert wird, ab der Diagnosestellung von einem professionellen Netzwerk begleitet werden, veranschaulichte Stefanie Töle von der Abteilung der frühkindlichen Hör- und Kommunikationsentwicklung und der Abteilung der Inklusiven Bildung des Landesförderzentrums in Schleswig: Anhand eines Elternbriefs gab sie allen Anwesenden drei wichtige Stichpunkte zur Hörschädigung im Kindesalter mit: frühzeitig (= Diagnostik, Aufnahme in Unterstützungssysteme, Information des familiären Umfelds, Hörsystemversorgung), konsequent (= Nutzen der technischen Versorgung, Weiterbildung des ferneren Umfelds wie Erzieher:innen) und Chancengleichheit (= gleicher Zugang zur optimalen hörtechnischen Versorgung inkl. Zusatztechnik, Nachteilsausgleich, Unterstützung durch das schulische und soziale Umfeld für alle Kinder).
Dr. Goetz Brademann berichtete aus seiner langjährigen Erfahrung als CI-Operateur über die medizinischen Entwicklungen der Cochlea-Implantation, die PD Dr. Matthias Hey als leitender Audiologe im UKSH um die vorhandenen audiologischen Qualitätsstandards für bestmögliches Verstehen mit dem CI ergänzte. Wie dabei betont wurde, sei eine CI-Versorgung nicht mit der Operation oder der Aktivierung des Audioprozessors abgeschlossen, sondern werde durch die qualitative medizinische, audiologische und therapeutische Nachsorge bestimmt.
Abschließend blickten „die Jungen“ des Netzwerks gemeinsam in die Zukunft. Dr. Jan Dambon vom UKSH sah aus ärztlicher Sicht die positiven Entwicklungen zur minimalinvasiven Operationstechnik und möchte dennoch die Implantation in naher Zukunft noch keinem Roboter vollständig überlassen. Kevyn Kogel, Audiologe des UKSH, beschrieb, dass technische Fortschritte wie neue Bluetooth-Technologien oder Einsatz der Künstlichen Intelligenz, der Verbesserung technischer Möglichkeiten und des Klangerlebnissen dienen können.
Gyde Petersen als therapeutische Leiterin der CI-Rehabilitation im CIC betonte, dass technologische Entwicklungen keine Garantie für eine Verbesserung der individuellen Lebensqualität oder der gesellschaftlichen Teilhabe sein müssen. Auch zukünftig brauche es ein interdisziplinäres Netzwerk, um den Prozess der CI-Versorgung für Erwachsene und Kinder mit CI bestmöglich individuell begleiten zu können.
Neben den historischen, aktuellen und zukunftsweisenden Vorträgen waren es die menschlichen Begegnungen, die den Erfolg des ganzheitlichen Konzepts des CIC Schleswig-Kiel an diesem Tag sichtbar machten: Das Wiedersehen von Menschen, die eine intensive Zeit geteilt haben, der Austausch zwischen CI-Trägerinnen und CI-Trägern, die Kontaktmöglichkeiten an den Informationsständen der CI-Hersteller, Kooperationspartner und der Selbsthilfe, und das Zusammentreffen von ehemaligen Mitarbeitenden und neuen Kolleginnen und Kollegen.
Das CIC Schleswig-Kiel blickt daher positiv auf die kommenden 30 Jahre CI-Versorgung im nördlichsten Bundesland.
Autorinnen:
Theresa Günther
Audiologin am Cochlea-Implant-Centrum Schleswig-Kiel. Abschluss des Studiums Hörakustik und audiologische Technik (Master of Science) an der Universität zu Lübeck.
Gyde Petersen
Therapeutische Leiterin am Cochlea-Implant-Centrum Schleswig-Kiel. Abschluss des Studiums der Klinischen Linguistik (Master of Science) an der Universität Bielefeld.
Fotos: privat
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