8. April 2019

„Menschen mit Behinderung werden nur als Kostenfaktor angesehen“

Neulich zur 10-Years-Challenge in den sozialen Netzwerken hat „Leidmedien“ einen Fotovergleich veröffentlicht: Beide Fotos zeigen eine Frau im Rollstuhl vor einer Treppe ohne Fahrstuhl – überschrieben sind sie mit den Jahreszahlen 2009 und 2019. Die Botschaft ist klar: In Sachen Inklusion passiert noch immer relativ wenig. Menschen mit Behinderungen werden dafür verantwortlich gemacht, ihre Behinderung aus dem Weg zu räumen. Wir sollen therapiert werden, Prothesen tragen, Cochlea Implantate bekommen, nur um der Gesellschaft möglichst wenig Herausforderungen zu geben. Dabei werden wir in Wirklichkeit größtenteils behindert von der Umwelt, nämlich dadurch, dass Untertitel, Induktionsschleifen oder Gebärdensprachangebote fehlen – oder eben in diesem und meinem Fall Aufzüge.

Wir sind nicht behindert, sondern werden behindert. Das zeigt sich insbesondere an den Kämpfen mit den Kostenträgern, die nur allzu oft Anträge auf notwendige Unterstützung ablehnen, solange bis das Sozialgericht den Klägern Recht gibt. Das – auch gesellschaftliche – Problem dahinter: dass behinderte Menschen immer als Kostenfaktor angesehen werden. Sie kosten nämlich erst mal Geld, der Rollstuhl kostet Geld, das CI kostet Geld, der Aufzug kostet Geld. Aber dass Menschen mit Behinderung auch zur Gesellschaft beitragen durch andere Perspektiven und ihre Expertisen, das wird nur allzu oft übersehen.

Dabei sind viele Errungenschaften, die behinderte Menschen erreicht haben, Dinge, von denen nichtbehinderte Menschen genauso profitieren: Wer im Alter Probleme mit den Knien bekommt, freut sich über Rolltreppe und Aufzug. Wer im Alter nicht mehr gut sehen kann, freut sich, dass die Schrift am Bahnhof kontrastreich ist. Und wer nicht mehr so gut hören kann, freut sich, wenn die Etage im Aufzug nicht nur akustisch durchgegeben, sondern auch auf einem Bildschirm angezeigt wird. Solange wir Behinderung immer nur als das Schicksal von zehn Prozent unserer Gesellschaft begreifen, vergessen wir völlig, dass wir alle früher oder später mal eine Behinderung haben werden.

Raúl Krauthausen
Raúl Krauthausen ist Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit. 2003 hat er zusammen mit Jan Mörsch die Initiative Sozialhelden gegründet. 


Foto: Andi Weiland | Sozialhelden e.V.


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