cCMV: Schwerhörigkeit schon im Mutterleib verhindern, lindern oder heilen

Hörhilfen wie Hörgeräte oder CIs behandeln die Symptome von Schwerhörigkeit, nicht jedoch die Ursache. Genau das erlauben nun neue Behandlungsansätze gegen Infektionen mit dem Zytomegalievirus. Prof. Kummer vom Universitätsklinikum Regensburg berichtet, wie Empfehlungen der neuen Leitlinie so in Zukunft Schwerhörigkeit vorbeugen und behandeln lassen.

Viele Eltern begleiten Ihre Kinder schon seit Jahren auf ihrem Weg mit Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten. Die Diagnose einer Schwerhörigkeit ist einschneidend. Die Ursachen sind vielfältig, häufig genetisch, aber bislang nur im Ausnahmefall behandelbar; oft bleiben sie im Dunkeln. Dieser Beitrag berichtet von der Entwicklung der aktuell erschienenen Leitlinie zum Management der konnatalen Zytomegalievirus-Infektion, kurz cCMV (engl. congenital Cytomegalovirus). Experten empfehlen darin Maßnahmen, die in vielen Fällen schon während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt eine Vorbeugung bzw. eine Behandlung ermöglichen. Für viele Kinder und deren Familien kann dies zukünftig einen echten Meilenstein in der Versorgung bedeuten.

Die konnatale Zytomegalievirus-Infektion (cCMV): ein „Elefant im Wohnzimmer“

Das Zytomegalievirus ist weit verbreitet. Die Durchseuchung bei Erwachsenen liegt in Ländern wie Deutschland bei etwa 40 bis 50 Prozent, weltweit oft auch weit darüber. Für die meisten Menschen verläuft eine Infektion harmlos, oft unbemerkt. Infiziert sich eine Frau jedoch während der Schwangerschaft oder wird eine frühere Infektion reaktiviert, kann das Virus auf das ungeborene Kind übertragen werden. Nach genetischen Ursachen ist cCMV die häufigste infektiologische Ursache für angeborene und frühkindlich erworbene Schwerhörigkeiten. Nach Schätzungen könnte cCMV auch in Deutschland für etwa jeden fünften Fall angeborener Schwerhörigkeiten und sogar für jede vierte Schwerhörigkeit im Alter von vier Jahren verantwortlich sein. Man könnte CMV als die „Röteln unserer Zeit“ bezeichnen – die mit Abstand häufigste Infektion in der Schwangerschaft. Auch wenn eine Impfung nicht in Aussicht ist, kann die Infektion nun vielfach angegangen werden. Eine Schädigung des Kindes, insbesondere eine Schwerhörigkeit, kann so in vielen Fällen vermieden oder gelindert, selten auch geheilt werden.

Der lange Weg zur Leitlinie

Vor acht Jahren, 2016, stellten wir in Regensburg die cCMV-bedingte Schwerhörigkeit in den Mittelpunkt der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Die Virologin Prof. Susanne Modrow hatte in Regensburg bereits seit vielen Jahren zu Infektionen in der Schwangerschaft und ihrer Prävention geforscht und bereits zuvor eine Leitlinie zur Labordiagnostik dieser Infektionen koordiniert. Weil Schwerhörigkeit eine der wichtigsten und am besten untersuchten Folgen der cCMV-Infektion ist, stellten wir dieses Thema in den Mittelpunkt der Tagung. Gemeinsam mit anderen Experten, v.a. aus Tübingen, darunter dem Virologen Prof. Klaus Hamprecht und dem Neonatologen Dr. Rangmar Goelz diskutierten wir, welche Konsequenzen für die Diagnostik und Therapie der Infektion und ihrer Folgen, insbesondere der frühkindlichen Schwerhörigkeit, gezogen werden sollten. Ganz wesentlich erweiterten danach Experten aus der Frauenheilkunde diesen Kreis, der schließlich die Entwicklung einer Leitlinie in Deutschland begann. Gerade in ihrem Fachgebiet hatten Studien zuletzt Wege aufgezeigt, bereits in der Schwangerschaft einen Großteil der schwersten Folgen der Infektion bis hin zum Tod des Fetus zu vermeiden, von schweren Fehlbildungen des Gehirns bis hin zur isolierten Schwerhörigkeit. Von beiden Entwicklungen vorangetrieben und allein durch die Corona-Pandemie verzögert, wurden Empfehlungen entwickelt, mehrfach abgestimmt und so schließlich die S2k-Leitlinie „Prävention, Diagnostik und Therapie der CMV-Infektion bei Schwangeren und der konnatalen CMV-Infektion bei Neugeborenen und Kindern“ erstellt.

Was empfiehlt die neue Leitlinie?

Die neue Leitlinie wurde Anfang April 2025 bei der AWMF, der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, publiziert (AWMF Registernummer 0093/003). Sie fasst diesen Stand aktuellen Wissens zusammen und gibt Empfehlungen für die Diagnostik und antivirale Therapie von Schwangeren und Neugeborenen und ihre Nachsorge.

Empfehlungen für Schwangere

Aufklärung und Prävention: Am besten noch vor der Schwangerschaft oder zu ihrem Beginn sollten werdende Mütter über CMV und einfache Hygienemaßnahmen aufgeklärt werden, die eine Infektion vermeiden lassen, im Kontakt mit Körperflüssigkeiten, v.a. von Kleinkindern, die oft unbemerkt CMV ausscheiden.

Screening: Zu Beginn der Schwangerschaft kann ein Screening auf CMV diejenigen Frauen identifizieren, die bisher keinen Kontakt mit dem Virus hatten und besonders gefährdet sind.

Therapie bei Erstinfektion: Infiziert sich eine Schwangere dennoch mit CMV, kann eine antivirale Therapie mit Valaciclovir das Risiko der Übertragung auf das Kind und das Risiko für Folgeschäden, auch für Schwerhörigkeit, deutlich senken – um etwa zwei Drittel.

Empfehlungen für Neugeborene

Früherkennung: Entscheidend ist, infizierte Neugeborene früh zu erkennen. Eine Schlüsselrolle spielt hier das universelle Neugeborenen-Hörscreening: bleibt es auch nach Wiederholung auffällig, sollte umgehend ein cCMV-Test veranlasst werden. Auch andere Symptome können darauf hinweisen, z.B. Auffälligkeiten der Haut, des Gastrointestinaltraktes, der klinischen Chemie, des Blutbildes sowie des ZNS oder der Augen.

Diagnostik: Der Nachweis der cCMV-Infektion erfolgt am zuverlässigsten mittels PCR-Tests aus einer Urin- oder Speichelprobe (>1 h nach dem Stillen) und zwar innerhalb der ersten zwei, spätestens drei Lebenswochen, vorzugsweise bereits in der Geburtsklinik.

Antivirale Therapie: Wird dann im Rahmen der weiteren, insbesondere pädaudiologischen Abklärung eine sensorineurale Schwerhörigkeit nachgewiesen, isoliert oder gemeinsam mit anderen Symptomen, empfiehlt die Leitlinie, eine antivirale Therapie mit Valganciclovir-Saft anzubieten. Diese sollte in den ersten vier Lebenswochen beginnen, über eine Dauer von sechs Monaten. Wegen fehlender Zulassungen sollte eine solche Therapie im Sinn eines individuellen Heilversuchs besprochen und durchgeführt werden, begleitet von einem Monitoring im Hinblick auf die antivirale Wirkung wie auch mögliche Nebenwirkungen.

Durch eine antivirale Therapie kann das Gehör in der Mehrheit der Fälle stabilisiert, vielfach verbessert oder eine Progression verhindert werden: Während im spontanen Verlauf der cCMV-bedingten Schwerhörigkeit eine Verschlechterung des Gehörs bei 28% der Ohren bzw. einer Verbesserung bei 9% zu erwarten ist, darf bei antiviraler Behandlung nur bei 6% mit einer Verschlechterung bzw. bei 45% mit einer Verbesserung gerechnet werden. Die Versorgung mit einem Hörgerät kann so teils unnötig werden oder möglich bleiben bzw. ein Cochlea Implantat unnötig machen. Eine mehrjährige Nachsorge ist notwendig, um später auftretende Schwerhörigkeiten zu erkennen und um sicherzustellen, dass die hörprothetische Versorgung adäquat ist.

Der Blick nach vorn

Die Empfehlungen der Leitlinie, gerichtet an Schwangere und Neugeborene, sind ein hervorragender Fortschritt in der Behandlung der frühkindlichen Schwerhörigkeit. Sie zeigen neue Wege auf, die häufigste behandelbare Ursache angeborener Schwerhörigkeiten zu erkennen, ihr vorzubeugen oder ihren Verlauf zu beeinflussen, das Gehör zu stabilisieren und zu verbessern oder eine Verschlechterung abzuwenden. Die Diagnose und Behandlung der cCMV-bedingten Schwerhörigkeit direkt nach der Geburt eröffnet die Chance, die Entwicklung der Kinder, insbesondere der Kommunikation und Sprache, entscheidend zu unterstützen und neben die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Hörgeräten oder Cochlea Implantaten eine an der Ursache der Schwerhörigkeit wirksame Therapie zu stellen.

Die Veröffentlichung der neuen Leitlinie ist ein Aufbruch in Deutschland, wie er bereits weltweit von Experten verlangt und vielfach umgesetzt wird. Auch hier geht es nun darum, ihre Empfehlungen zu verbreiten und flächendeckend zu realisieren, Ärztinnen und Ärzte zu schulen und Eltern zu informieren. Die enge Zusammenarbeit von Frauenärzten, Geburtshelfern, Neonatologen, Kinderärzten, HNO-Ärzten und Pädaudiologen ist dafür entscheidend.

Ihre Erfolge können dann als Beweis gewertet werden, dass nicht allein revolutionäre, sondern auch etablierte Methoden medizinischer Diagnostik und Therapie vorrangige Ziele der Medizin verfolgen lassen, bei der die Entwicklung und breite Anwendung präventiver Therapiestrategien an erster Stelle steht. Sie verschaffen dabei Vorgehensweisen Beachtung, die auf der Grundlage versorgungsorientierter Forschung eine engagierte und interdisziplinär abgestimmte Leitlinienentwicklung verfolgen und vorausschauend Investitionen fordern, zum Nutzen der Gesellschaft wie der einzelnen Patienten, die uns anvertraut sind.

Autorenbeschreibung:

Prof. Dr. Peter Kummer: Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Phoniater und Pädaudiologie ist Professor für Phoniatrie und Pädaudiologie und Leiter der Sektion an der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde am Universitätsklinikum Regensburg. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit der Diagnostik, den Ursachen und der Therapie der frühkindlichen Schwerhörigkeit sowie mit der Therapie und Rehabilitation von Stimmstörungen und oropharyngealer Dysphagie, insbesondere bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren.

Foto: privat

Der Artikel ist in der Printausgabe 128 der Zeitschrift Schnecke – Leben mit Cochlea-Implantat & Hörgerät erschienen. Diese können Sie hier bestellen: Archiv – alle Ausgaben


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