29. Juli 2025
Die Mutmacherinnen
Greta und Larissa machen die seltene Krankheit NF2 sichtbarer und sind Vorbild für Betroffene.
Greta Brenken, 24, aus Köln betreibt mit Larissa Käfer, 32, aus Karlsruhe den Instagram-Kanall @somehowdeaf. Der Kanal heißt so, weil Greta und ihre Mitstreiterin Hirnstammimplantate bekommen haben. Denn durch die Erkrankung sind sie unter anderem ertaubt, da die Tumore vor allem im Gehirn und damit auch am Hörnerv wuchern.
„Wir sind nicht richtig in der Welt der Gehörlosen, aber wir gehören auch nicht richtig in die hörende Welt“, sagt Greta. Was bedeutet es, wenn das Gesicht im Spiegel plötzlich Veränderungen zeigt, die nicht rückgängig gemacht werden können? Wenn das Leben von einem Krankheitsbild begleitet wird, das einem in regelmäßigen Abständen Hindernisse und Rückschläge in den Weg legt, Eingriffe und medikamentöse Therapien mit toxischen Substanzen erfordert?
Auf ihrem Instagram-Kanal stellen Greta und Larissa neben Urlaubsbildern auch wichtige Gebärden der Gebärdensprache und andere Betroffene von NF2 vor. Zudem teilen sie witzige Erlebnisse aus Ihrem Leben wie Verhörer, aber auch tragische Ereignisse wie OPs. Darüber hinaus stellen sie hilfreiche technische Neuheiten für Schwerhörige vor, werben für Inklusion und mehr Verständnis auch in der Ärzteschaft. Als Hörpatinnen des Herstellers Med-El beantworten sie zudem regelmäßig Fragen rund um das Hirnstammimplantat.
Wie geht es euch aktuell?
Larissa: Ich hatte im Dezember zwei Operationen und eine Bestrahlung über fünf Tage. Das war eine anstrengende Zeit, aber ich habe viel Unterstützung bekommen und fühle mich wieder fit.
Greta: ich habe gerade eine Pause, was die NF2-Operationen betrifft, und genieße das sehr. Ich freue mich sehr auf den Sommer und es sind viele schöne Dinge geplant.
Ihr habt zum Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung Sichtbarkeit, Mitsprache und Respekt in allen Lebensbereichen gefordert – was sollte sich konkret ändern? Habt ihr Beispiele, kleine Stellschrauben, die sofort spürbar für Betroffene wären, wenn man sie ändern würde?
Larissa: Der Arbeitsmarkt ist ein großes Thema. Hier werden Menschen mit Behinderung sehr ausgegrenzt. Auch Werkstätten brauchen Veränderung. Im Prinzip sind sie eine gute Idee, leider gilt hier nicht der Mindestlohn und die Menschen dort werden ausgebeutet.
Im Bildungssystem fehlen klare Konzepte, wie mit bestimmten Behinderungen – etwa Hörschädigung – umgegangen werden soll. Jeder Fall wird einzeln behandelt und Lehrkräfte sind oft überfordert, wie sie damit umgehen sollen.
Untertitel sollten Pflicht werden. Hier besteht zum Beispiel eine soziale Ausgrenzung. Wir können nicht einfach Freunde im Kino treffen.
Greta: Ich würde generell noch ergänzen, dass Inklusion verbindliche Strukturen braucht, nicht nur gute Absichten – Menschen mit Behinderung müssen mitentscheiden können, statt ständig für ihre Bedürfnisse kämpfen zu müssen. Gerade bei seltenen Erkrankungen wären weniger bürokratische Hürden und mehr Vertrauen eine spürbare Entlastung im Alltag.
Ihr macht viel auf NF2 aufmerksam – wie viele Menschen sind davon derzeit in Deutschland betroffen und habt ihr das Gefühl, dass sich langsam etwas ändert und die seltene Krankheit sichtbarer geworden ist?
Ganz genau lässt sich das leider nicht sagen. Schätzungen zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit NF2 geboren wird, bei etwa 1 zu 40.000. Wir haben aber das Gefühl, dass unsere Aufklärungsarbeit zunehmend Wirkung zeigt: Mittlerweile folgen uns rund 18.000 Menschen – und viele von ihnen kannten die Erkrankung vorher überhaupt nicht.
Wie lange hat es bei euch beiden gedauert, bis ihr die korrekte Diagnose NF2 gestellt bekommen habt?
Larissa: Bei mir wurde die Krankheit mit 16 Jahren diagnostiziert. Es hat ein Jahr gedauert, bis man die Ursache für meine Beschwerden gefunden hat.
Greta: Bei mir wurde NF2 relativ schnell erkannt. Das war aber Glück im Unglück und eher ein Zufallsbefund im MRT. Die Ärzte hatten die Symptomatik zunächst mit etwas anderem in Verbindung gebracht.
Ihr beklagt auch die fehlende Barrierefreiheit in öffentlichen Räumen und digitalen Medien – könnt ihr das an Beispielen erzählen, wie ihr das erlebt, wodurch ihr euch ausgegrenzt fühlt, damit man es nachvollziehen kann?
Sportstätten sind ein gutes Beispiel. Viele Hallen oder Stadien haben zum Beispiel keine Geländer an Treppen. Das würde gehbehinderten Menschen, aber auch sehbehinderten Menschen helfen.
Ein weiterer Punkt sind Kultureinrichtungen. Viele Museen bieten nur Audioführungen an. Oder Theater besitzen keine FM-Anlagen. Oft fehlen auch visuelle Informationen – etwa bei Durchsagen in Bahnhöfen oder bei Vorträgen ohne Untertitel oder Transkripte. Da fühlt man sich schnell ausgeschlossen, obwohl man eigentlich „dabei“ ist.
Habt ihr eher Kontakt in eurem Leben mit anderen Betroffenen von NF2, Trägern eines ABI oder Hörgeschädigten oder sind das eher Ausnahmen?
Wir haben Kontakte zu allen Personengruppen. Hier hilft tatsächlich auch Social Media, da wir uns auch über große Entfernungen verständigen können.
Was habt ihr für Pläne für die Zukunft, was stellt ihr euch vor und wünscht ihr euch für euer persönliches Leben?
Larissa: Was wir uns beide wünschen, ist natürlich, dass irgendwann eine Heilung für unsere Krankheit gefunden wird oder ein Medikament. Ich persönlich reise sehr gern und mein Wunsch ist, irgendwann einmal Japan zu erkunden.
Greta: Ich wünsche mir, meine Fähigkeiten zusätzlich zu der Öffentlichkeitsarbeit in einem Job einsetzen zu können, der mich erfüllt – und weiterhin Freude an dem zu haben, was ich tue. Ich würde irgendwann gern mal auf ein Adele-Konzert gehen, da ich sie immer gehört habe, bevor ich ertaubt bin. Da wusste ich noch nicht, dass mir durch die Hirnstammimplantate wieder ein so gutes Hören ermöglicht werden würde. Und ich wünsche mir, dass Menschen wie Larissa und ich gesehen werden – mit allem, was wir sind: nicht nur als Patientin, sondern als Mensch mit Stärken, Träumen und einem ganz normalen Leben.
Euer Instagram-Account hat mit über 18 000 Follower eine große Reichweite und sieht sehr professionell aus. Macht ihr das alles allein oder hilft euch jemand dabei?
Das ist alleine die Arbeit von uns beiden. Wir haben beide viele Ideen und setzen sie alleine um und sprechen uns natürlich ab, bevor wir posten. Was als kleine Idee angefangen hat, wurde immer größer und wir sind mit unserem Account gewachsen und durften viel lernen und tolle Menschen kennenlernen.
Ist das immer Spaß und Freude oder auch manchmal anstrengend und Verpflichtung für euch, den Account zu bespielen?
Meistens macht es Spaß. Das verdanken wir aber auch unserer Community, von der wir tolle Rückmeldungen bekommen. Ich, Greta, ziehe sehr viel Energie und Kraft aus dem, was wir machen und merke, dass ich dadurch sehr viel verarbeiten kann. Ab und zu ist es natürlich auch anstrengend, gerade wenn privat viel los ist oder NF2 wieder zuschlägt.
Manchmal macht ihr auch Werbung wie für die KI-Brille. Wann sagt ihr zu Anfragen ja und wann sagt nein, also wo ist da eure Grenze?
Wir achten immer darauf, dass die Produkte zu uns passen und wir auch dahinter stehen. Wir würden nichts zeigen, wovon wir selber nicht überzeugt sind und was wir davor nicht selbst ausprobiert haben.
Wenn ihr einen Film oder ein Interview zu euch empfehlen würdet, bei dem eure Anliegen besonders gut rüberkommen – welches wäre das?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil mittlerweile so viele Interviews und Fernseh-Berichte über uns existieren. Jeder Bericht hat seine ganz individuelle Stärke. Im letzten Jahr haben wir eine Spendenaktion veröffentlicht und durften gemeinsam mit unserem Arzt im Fernsehen aufklären. Der Bericht ist zwar sehr kurz und zeigt nicht annähernd das Leben mit NF2 in all seinen Facetten, aber er ist für uns persönlich einfach schön, weil wir dort als Team mit dem Menschen erscheinen, der mit uns gegen NF2 kämpft.
Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und euch noch alles Gute!
Das Gespräch führte Alexander Teske. Foto: Sandra Doerpinghaus
Wer den angesprochenen TV-Bericht ansehen will, hier der Link:
http://www.sat1nrw.de/aktuell/kranke-freundinnen-kaempfen-gegen-krankheit-256171/
Greta und Larissa sammeln Spenden, damit seltene Krankheiten wie NF2 besser erforscht werden können und Betroffenen wie ihnen besser geholfen werden kann. Sie unterstützen eine Genetikstudie am Universitätsklinikum Tübingen. Dort gibt es ein spezialisiertes Zentrum, in dem beide seit vielen Jahren mit dem Ärzteteam gemeinsam gegen die Herausforderungen, die NF2 mit sich bringt, kämpfen. Hier der Link zur Spendenaktion:
http://www.gofundme.com/f/fur-greta-und-larissa-was-kostet-mut
Stichwort NF2:
Neurofibromatose Typ 2 – kurz auch NF2 genannt. Bei Erkrankten bilden sich gutartige Tumore im zentralen und peripheren Nervensystem, die zu Verlusten von Nervenfunktionen führen können. Es ist sehr individuell, wie viele Tumore wie schnell wachsen und welches Risiko sie aufgrund der Lokalisation darstellen. Betroffene leiden täglich unter den physischen und emotionalen Belastungen dieser Krankheit, wie Taubheit, Lähmungen und der ständigen Angst vor neuen Tumoren. NF2 gilt als nicht heilbar und wird noch immer erforscht. Genetikstudien spielen hierbei eine besonders wichtige Rolle, da sie eine gute Möglichkeit bieten, neue Therapieansätze zu entwickeln. Leider sind seltene Erkrankungen wie Neurofibromatose Typ 2 für große Pharmaunternehmen oft nicht lukrativ genug, um umfangreiche Forschungsprojekte zu finanzieren.
Was ist ein ABI?
ABI ist die Abkürzung für Auditory Brainstem Implantat. Auf deutsch: ein auditorisches Hirnstammimplantat.
Es ist ein elektronisches Gerät, das den Schalldruck – also Geräusche, Töne, gesprochene Sprache – mit Hilfe eines Prozessors, der in einem Hörgerät außen am Kopf sitzt, in elektrische Signale umwandelt. Über Elektroden werden die winzigen Ströme in den Hörnervenkern am Stammhirn übertragen, wo sie in unser Großhirn weitergeleitet und zu Höreindrücken verarbeitet werden.
Neben der Stimulationselektrode besteht das Implantat aus einem Elektronikteil und einer Empfangsantenne mit einem Magneten, die unter die Haut in den Schädelknochen hinter dem Ohrbereich eingelassen werden (wie bei einem Cochlea-Implantat).
Ein Hirnstammimplantat besteht aus zwei Systemkomponenten:
1. dem operativ hinter dem Ohr eingesetzte Implantat mit der Empfangseinheit und den Stimulationselektroden mit insgesamt 21 einzelnen Knopfelektroden und
2. dem außen hinter dem Ohr getragenen Soundprozessor mit einem Mikrofon und einer Sendespule zur drahtlosen Übermittlung der Energie und der Stimulationsparameter.
Das ABI kommt als Hilfsmittel in Frage, wenn das Innenohr oder der Hörnerv von Geburt an defekt sind oder fehlen oder aber wenn eine Erkrankung den Hörnerv zerstört hat. Eine solche Krankheit ist die Neurofibromatose II (NF-2). Es ist eine gutartige Tumorerkrankung, die verschiedene Nerven befallen kann, darunter auch den Hörnerv. Weitere Ursachen können eine unfallbedingte Felsenbeinfraktur, eine Innenohrmissbildung oder auch ein verknöchertes Innenohr aufgrund einer Otosklerose sein.
Der resultierende Höreindruck erlaubt die Verbesserung des Lippenlesens und die Unterscheidung von Alltagsgeräuschen. Nur in wenigen Ausnahmefällen wird ein freies Wortverständnis möglich. Es gibt das ABI von den Firmen Cochlear und Med-El.
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