26. April 2024

Vier Elektroden und ein Taschenprozessor - 43 Jahre mit CI

Als Schulkind ertaubt Sonja Ohligmacher durch einen Unfall. Es folgen fast 20 Jahre der Stille – bis sie als eine der ersten CI-Trägerinnen in Deutschland zurück in die Welt der Hörenden findet. Hier ist ihr Bericht:

Foto: Sonja Ohligmacher

Dass ich einmal "CI-Geschichte" schreiben würde – ganz zu schweigen davon, heute Vizepräsidentin der DCIG zu sein – hätte ich 1981 in meinen Anfangszeiten mit dem CI nicht im Traum gedacht. Zu sehr war ich mit meiner jahrelangen Ertaubung infolge eines Schulwegunfalls 1964 und mit damit verbundenen Problemen beschäftigt. 

Ertaubung mit 13 Jahren

Durch ein schweres Schädeltrauma mit beidseitiger Taubheit als Folge musste ich mit knapp 13 Jahren mein Leben und vor allem meine Zukunftspläne neu ordnen. Das Lippenabsehen zu erlernen, war sehr mühselig, aber es blieb mir nichts anderes übrig. Ich wollte weiterhin in der Welt der normal Hörenden bestehen können. Dass dies nicht so einfach war, spiegelte sich auch in meinem Freundeskreis, in der Schule und der anschließenden Ausbildung zur Bibliothekarin wider.

Den größten Rückhalt in dieser Zeit, die mit Depressionen, teilweise sozialem Rückzug, aber auch neuen Freundschaften durch den zwangsläufigen Schulwechsel verbunden war, hatte ich innerhalb der Familie. In ihr war ich voll integriert und bekam große Unterstützung.

Hoffen auf eine elektronische Hörprothese

Ich musste also neue Wege gehen. Das ist mir trotz der vielen Schwierigkeiten, die eine Hörbehinderung privat und beruflich mit sich bringt, gut gelungen. Und immer begleitete mich in den 1970er-Jahren die Hoffnung: Vielleicht gibt es doch noch Wunder. Bereits kurz nach meiner Ertaubung 1964 hatte uns Prof. Zöllner an der Uniklinik Freiburg darauf hingewiesen, dass schon an einer elektronischen Hörprothese gearbeitet werde. Und so glaubte ich an dieses Wunder – und erlebte es dann Anfang 1981.

Noch heute bin ich meinem Jugendfreund, einem HNO-Arzt aus Österreich, unendlich dankbar. Auf einem HNO-Kongress 1980 wurde das Wiener Cochlea-Implantat vorgestellt – die erste Patientin konnte bereits Sprache verstehen – und er sah in mir eine geeignete Kandidatin dafür. 

Für mich ein Wink des Schicksals und eine Chance zugleich. Ich hatte nichts zu verlieren, denn bei mir war keinerlei Restgehör vorhanden. Das CI war die erste reelle Chance, die nicht endende Stille zu durchbrechen.

Die Voruntersuchung - eine Chance in Wien

Schnell bekam ich Ende 1980 einen Termin zur Voruntersuchung bei Prof. Kurt Burian. Damals gab es noch keine bildgebenden Verfahren wie CT oder MRT zur Vorbereitung auf die Operation, einzig auf die Röntgenbilder war Verlass, und natürlich den äußerst schmerzhaften Promontorialtest. Nach einer dreitägigen Voruntersuchung stand fest: Ich bin eine geeignete Kandidatin, dies bestätigte auch eine Psychologin. 

"Abenteuer CI"

Allen Unkenrufen zum Trotz – "Du bist doch ein Versuchskaninchen!", "Du weißt doch gar nicht, was auf dich zukommt!" – verließ ich mich auf mein Bauchgefühl und wagte das Abenteuer CI. Auch meine Familie ermutigte mich dazu. Wohl wissend, dass das Cochlea-Implantat noch nicht wissenschaftlich anerkannt und der Ausgang ungewiss war, stand ich zu meiner Entscheidung – einer muss schließlich den Anfang machen. Zudem gab es noch keine CI-Selbsthilfe, an die ich mich hätte wenden können.

Wenige Wochen später checkte ich in das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien ein. Die OP dauerte mehr als vier Stunden, der Schnitt war riesengroß und zog sich über ein Drittel meines halbseitig kahlrasierten Kopfes. Mir wurden damals noch zwei Empfangsspulen implantiert. Die ersten drei Tage durfte ich nicht aufstehen, und der Klinikaufenthalt dauerte insgesamt drei Wochen. Doch ich war von Anfang an optimistisch, dass alles gut verlaufen würde. 

Ich hörte! 

Foto: Sonja Ohligmacher

Mit Spannung wartete ich auf die Erstanpassung, die drei Wochen später unmittelbar nach meiner Klinikentlassung an der Technischen Universität in Wien stattfand, gemeinsam durchgeführt von Frau Dr. Ingeborg und Prof. Erwin Hochmair. Der erste Ton entlockte mir zwar keine Tränen, aber ich war begeistert, dass ich ihn wahrnahm. Alle vier Elektroden funktionierten – ich hörte! Natürlich klang anfangs alles eher blechern, aber die Tatsache, dass ich einen Weg aus der Stille heraus gefunden hatte, genügte mir vollkommen, und von da an war ich hochmotiviert.

CI-Technik am Anfang der Entwicklung

Der Taschenprozessor war im Vergleich zu den heutigen Sound- und Audioprozessoren ziemlich unhandlich: Die Sendespule konnte noch nicht mittels eines Magneten mit dem Implantat verbunden werden. Mit Stirnband, Haarreifen oder einfach durch das Stillhalten des Kopfes hatte ich dafür eine halbwegs akzeptable Lösung gefunden. Darüber hinaus mussten sämtliche Einstellungen direkt am Prozessor getätigt werden. Da sich das Mikrofon noch im Prozessor befand, hörte ich jedes Geräusch am Körper, insbesondere die Bewegung der Kleidung. Und die großen Akkus hatten auch ihr Gewicht. Derlei Unbequemlichkeiten waren für mich jedoch nebensächlich.

Für die CI-Anpassung an der Technischen Universität mussten zahlreiche Geräte und Kabel miteinander verbunden werden – alles zusammen füllte einen ganzen Raum. Diese hermetisch gedämmten Räume mit ihrer sauerstoffarmen Luft wurden für mich zum Normalzustand. Die Anpassungen dauerten am Anfang Stunden. Doch schließlich war ich von da an auch eine der Testpersonen und das über sehr viele Jahre hinweg. 

Anfänge des Hörtrainings

Das anschließende Hörtraining absolvierte ich zunächst mit einer Logopädin in der Klinik und bekam Anleitungen für zuhause mit. Meine Mutter übte tagtäglich sehr geduldig und aufopferungsvoll mit mir. Ich lernte, hohe von tiefen Tönen, Männer- von Frauenstimmen zu unterscheiden und Geräusche zu selektieren. Allmählich begann ich auch mit Einsilbern, Mehrsilbern und Sätzen. Allerdings erreichte ich trotz intensiven Hörtrainings auch nach anderthalb Jahren kein im Alltag brauchbares Sprachverständnis. Das Lippenabsehen funktionierte jedoch wesentlich besser und ich war einfach nur dankbar und froh, dass ich etwas hören konnte. 

Jahrelanger Prozess des wieder Hörens

Meine CI-Reha bestand für mich darin, dass ich mit meiner Mutter ein jahrelanges Hörtraining absolvierte. Zusätzlich waren mein beruflicher und privater Alltag die besten Lehrmeister. Zwischendurch kehrte ich immer wieder für die Neueinstellungen, Tests und medizinische Nachkontrollen für eine ganze Woche nach Wien zurück. 

Bereits nach anderthalb Jahren versagte das erste Implantat. Das CI war schließlich noch nicht auf seine Lebensdauer getestet, es wurde undicht. Kurze Zeit danach wurde ich von Prof. Burian reimplantiert. Das neue Implantat führte immerhin dazu, dass ich problemlos Zahlen ohne Lippenabsehen, mit viel Mühe und Konzentration allmählich auch Sätze verstehen und sehr einfache Telefongespräche mit mir bekannten Personen führen konnte. Für mich war das bereits ein Quantensprung und ich konnte davon ausgehen, dass die neuen Implantate langlebiger waren. 

Reimplantationen und Fortschritte

Nach weiteren elf Jahren wurde eine erneute Reimplantation notwendig. Einzelne Elektroden fielen aus und das Sprachverstehen wurde undeutlicher. Inzwischen war das CI wissenschaftlich längst anerkannt. In Deutschland wurde schon länger implantiert und so konnte ich erstmals in München reimplantiert werden. Die neue CI-Kodierungsstrategie CIS verhalf mir nun dazu, dass ich innerhalb weniger Tage ein offenes Sprachverständnis erreichte und nahezu problemlos auch mit fremden Personen telefonieren konnte. Das war der zweite Quantensprung für mich, und vor allem überzeugte das CI nun auch viele meiner Mitmenschen.

Kleinere und leichtere Technik

Noch immer war ich mit Taschenprozessoren versorgt, in der Zwischenzeit waren sie etwas kleiner und leichter geworden. Neuen Tragekomfort empfand ich durch den Magneten an der inzwischen dünneren Sendespule, außerdem war das Mikrofon nun hinter dem Ohr platziert. Ich versuchte, mit den vorhandenen Möglichkeiten im Alltag und Beruf ein möglichst optimales Ergebnis zu erreichen und war damit auch zufrieden. Ich konnte telefonieren und Sprache ohne Lippenabsehen verstehen. Nach meiner erziehungsbedingten Beurlaubung kehrte ich wieder in meinen Beruf zurück und wurde nun im Publikumsbereich der Bibliothek eingesetzt. Mittlerweile hatte ich die zweite Reimplantation hinter mir und konnte Sprache nahezu mühelos verstehen. Damit hatte ich mein Wunschergebnis mit dem CI erreicht. In schwierigen oder geräuschvollen Situationen bei Gesprächen am Schalter unterstützte mich das Lippenabsehen in der Kommunikation. Das ist nach wie vor mein bestes Hilfsmittel. 

Seit den 1990er Jahren in der Selbsthilfe aktiv

In den 1990er-Jahren etablierte sich die CI-Selbsthilfe und ich fand allmählich Zugang. Anfangs scheute ich mich davor, denn zu dieser Zeit hörte man hauptsächlich von Kaffeekränzchen – und das war nicht mein Ding. Doch Franz und Hanna Hermann hatten sich inzwischen als Pioniere der CI-Selbsthilfe viel Respekt verschafft und auch mein Herz schlägt seit vielen Jahren für die CI-Selbsthilfe. 

Das Wunder CI

Mittlerweile bin ich beidseitig mit einem CI versorgt und habe auf dem erstversorgten Ohr drei Reimplantationen hinter mir. Auch danach verschlechterte sich mein Gehör nicht! Auf dem linken Ohr trage ich seit 20 Jahren immer noch mein erstes CI.

Auf diese Weise hat für mich das Abenteuer CI begonnen. Allein mein Glaube an den Erfolg mit dem CI und das Vertrauen in diesen mutigen Chirurgen waren meine Motivation, mich in dieses Abenteuer zu stürzen. 

Das Wunder CI erlebe ich noch heute jeden Tag aufs Neue.

Sonja Ohligmacher, Vizepräsidentin der DCIG und stellvertretende Vorsitzende im CIV Baden-Württemberg

 

In der CI-Aktionswoche berichten CI-Träger, Akustiker und die Selbsthilfe über Hörimplantate.

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